Hab jetzt 8 von 12 Kapiteln beendet und bin im großen und ganzen äußerst zufrieden mit dem Titel: die unheilschwangere Stimmung ist einfach grandios, besonders gefällt die Tatsache, dass die Shibitos nach wie vor ihren menschlichen Tätigkeiten nachgehen, und nicht einfach nur plump über die Level verteilt wurden. Da sight-jacked mal schonmal eine Krankenschwester, die nach dem Stromausfall im Fahrstul eingeschlossen wurde, einen badenden Herren, der sich nicht an der verdächtig roten Farbe des Badewassers zu stören scheint oder jemanden, der einfach nur gemütlich vor dem Fernseher sitzt.
Wenn man denn erwischt wird ist die Shibito K.I. immerhin so fit, dass die Kerle genauso behende über Dächer kraxeln können, wie die Spielfigur selber. Man muss also durchaus mal etwas länger rennen, wenn man die Verfolger abschütteln möchte (und hoffen, dass man bei dem Versuch nicht gleich das ganze Dorf alarmiert).
Der Schwierigkeitsgrad ist trotzdem deutlich gemässigter als im Original. Mit blossen Fäusten ist man ziemlich chancenlos, aber selbst eine Bierflasche kann den Kampf zu Gunsten des Spielers entscheiden. Durch einfaches Hämmern kann man recht einfach sehr wirksame Komboattaken an den Untoten bringen, und wer einen Shibito mit runtergelassenen Hosen erwischt, darf sich auch oftmals an dem einen oder anderen finishing move ergötzen. Nach wie vor ist der Tod bei Siren alles andere als entgültig, und nach ein paar Minuten stehen die Kameraden wieder auf. Zu viel Zeit sollte man sich also nicht lassen, aber die Mechanik sorgt grösstenteils eher für Spannung als Frust.
Freundlicherweise sind die Mistschweine, die mit Gewehren auf Dächern lauern, diesmal äusserst rar gesäht. Hinterrücks über den Haufen geschossen wird man eher selten, und meistens hat man nach einem Treffer noch genug Zeit, das Weite zu suchen. Häufige Checkpoint und eine sehr aufschlussreiche 3d Karte der Umgebung, auf der die wichtigesten Punkte von vorne herein markiert sind, kommen der Spielbarkeit weiter entgegen.
Wem der harcore stealth-approach vom Ur-Siren zugesagt hat, könnte vom jüngsten Ableger zwar ein wenig enttäuscht sein, für die Mehrheit der Spieler dürfte der gemässigtere Schwierigkeitsgrad aber ein Segen sein. Ausserdem: einfach ist das Spiel deswegen immer noch nicht. Wer sich Hals über Kopf ins Scharmützel stürzt, dürfte den roten Game Over screen öfter zu sehen bekommen, als einem lieb ist. Etliche Charaktere starten ihre respektiven Missionen sowieso unbewaffnet und bekommen auch nie die Möglichkeit, eine Waffe zu tragen (die kleine Bella Monroe zum Beispiel).
Häufig ist man auch damit beschäftigt, wehrlose K.I. Kameraden am Leben zu erhalten. Gottlob ist so ein Unterfangen deutlich schmerzloser als erwartet: mit einfachen Knopfkommandos kann man die Dödel so lange in ausgewiesenen Verstecken unterbringen, bis die unmittelbare Gefahr vorüber ist. Charaktere wie Sam oder Melissa können sich ausserdem erstaunlich gut selbst zur Wehr setzen und helfen einem sogar aus der Patsche. Bis jetzt hab immer nur ich den Löffel abgegen und nicht die K.I.
Grafisch ist das Spiel meiner Meinung nach sehr gelungen. Die Texturen kommen aus nächster Nähe zwar etwas matschig daher, aber das Gesamtbild passt einfach. Die zahlreichen Einrichtungsgegenstände (die man dank Havoc auch alle umstossen kann, was selbstverständlich Krach macht) geben fast jedem Zimmer einen einzigartigen Look und das Dorf, das hüfthoch im roten Regen versunken ist ist eine wahre Atmosphäre-Breitseite. Dazu kommen noch Minenschächte, Wälder und ein Hospital, und alle Ortlichkeiten sehen absolut autentisch und glaubwürdig aus. Den wohl offensichtlichsten Augenschmaus stellen die dynamischen Licheffekte da. Egal ob die eigene Taschenlampe, Kerzen oder Strassenlaternen: so ziemlich jede Lichtquelle wirft auch korrekte Schatten. Die Animationen der sehr schön modellierten Chraktere können sich grösstenteils ebenfalls sehen lassen, besonders die zahlreichen waffenspezifischen Finisher guckt man immer wieder gerne.
Leider geht beim picture-in-picture sight-jacking die Bildrate ziemlich runter und das Spiel wird deutlich zäher. Die zahlreichen post Effekte, die beim sight-jacking über beide Bildschirmhälften gelegt werden, sowie die Tatsache, dass das Spiel in dem Modus unabhängig von Gegneraufkommen und Umgebungsgeometrie immer exakt gleich zäh läuft, legt allerdings die Vermutung nahe, dass es sich um einen beabsichtigten Effekt handelt. Ob mit oder ohne sight-jacking, die framerate ist jeweils in Stein gemeisselt.
Ebenfalls sehr stark kommt die Soundkulisse des Spiels daher: die Titelmelodie sowie die spärlich eingesetzte in-game Musik klingen wie gehabt herrlich schaurig, spitze Gegenstände machen beim Kontakt mit menschlichem Gewebe die erwartet ekligen squishy-sounds und die Sprachausgabe, auch wenn sie nicht gerade die Speerspitze bei Videospielen darstellt, ist zumindest im Horrorgenre ganz vorne mit dabei (ich würde sogar sagen sie ist dort an erster Stelle: die peinlichen one-liner aus RE4 muss man hier nicht ertragen, genausowenig wie die seltsamen Pausen, die die Silent Hill Charaktere gerne hinter ihre Sätze packen.) Die Shibitos brabbeln auf japanisch mit englischen Untertiteln vor sich hin und auch alle sonstigen japanischen Charaktere sprechen entweder nur japanisch oder wechseln zwischen japanisch und gebrochenem englisch hin und her - insgesamt auch hier ein sehr autentisches und stimmiges Bild.
Die einzigen Stolpersteine legen einem die viel zu nah am Charakter plazierte Kamera und die für Horrorspiele typische Panzersteuerung in den Weg. An beide Mankos kann man sich gut gewöhnen, aber warum die bewährte Doppelsticksteuerung bei japanischen Spielen einfach nicht zum Zuge kommt werde ich wohl nie verstehen (insbesondere bei einem stealth Spiel). Wie viel gutes eine solche Steurung mit sich bringt hat MGS4 gerade erst gezeigt. Die alten Teile werden ich alleine wegen der Steuerung wohl nie wieder anrühren.
Nichts desto trotz: Wenn das Spiel nicht auf den letzten Metern in eine spielerische und kreative Sackgasse gerät (4 Kapitel habe ich ja noch vor mir) gebe ich dem Spiel eine 8.5/10.
Siren ist ein komplett ausgewachsenes Spiel zum budget Preis von gut 26, und da kann man beim besten Willen nicht meckern.