pitlobster hat folgendes geschrieben:
@scoopex:
Ich glaube nicht, dass uns die EU vor irgendwas schützt. Das Land, dem es wirtschaftlich am allerbesten geht in Europa, ist nämlich nicht in der EU: Die Schweiz.
Das genaue Gegenteil von "Schutz" dürfte der Fall sein:
http://www.youtube.com/watch?v=qhieLo5XtN0
Pitlobster
Kennst du die Gründe, warum die Schweiz nicht in der EU ist? Sie war ja damals in der EFTA, der "Konkurrenz"-Integrationszone in Europa, die sich mittlerweile fast aufgelöst hat, weil die meisten Miglieder mittlerweile eingesehen haben, dass die EU die bessere Organisation war. Ich glaube, die einzigen Mitglieder, die heute noch in der EFTA sind, sind Liechtenstein, Island und die Schweiz. So ziemlich alle, außer der Schweiz haben mittlerweile eingesehen, dass die EU das bessere System ist. Was ja auch schonmal ein bischen was heißt. Vor allem ist die Schweiz aber immer noch in der EFTA und nicht in der EU, weil sie politisch neutral ist. Die EFTA ist eine unpolitische, reine Freihandelszone. Die EU hingegen ist eine Währungsunion mit gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik. Deshalb wird zum Beispiel auch gerade in der EU darüber diskutiert, ob Olympia boykottiert werden soll und nicht auf der Ebene der Nationalstaaten. Von der Außenpolitik der EU geleitet zu werden, ist mit der Neutralität der Schweiz nicht vereinbar. Das ist Grund 1, warum die Schweiz nicht beigetreten ist.
Grund 2 ist, dass die Schweiz seit jeher niedrige Außenzölle hat. Als die EU damals gegründet wurde (damals noch EG), hatten Italien und Frankreich allerdings sehr hohe Außenzölle, woran sich die gesamte EU anpassen musste. Für die meisten Länder kein Problem, weil sie von den Außenzöllen her im Mittelfeld lagen, aber die Schweiz hätte ihre gesamte Wirtschaftsstruktur umkrempeln müssen.
Wie ich oben im letzten Post schon geschrieben habe, hat die Schweiz sich allerdings rechtlich schon an viele EU-Richtlinien angepasst.
Zu dem Video, das du postest: Wir haben hier ja eigentlich über die Qualität der Nahrungsmittel gesprochen und wie gut uns die EU durch nahrungsmittelbezogene Qualitätsrichtlinien schützt. Ich bin trotz Gammelfleisch-Skandal immer noch Stammkunde bei meinem Dönermann um die Ecke und mir gehts prima. Ich fühle mich sehr gut geschützt. Gerade in der BRD bist du durch nationale Richtlinien noch besser geschützt, als anderswo. Z.B. weil Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde unangekündigt und regelmäßig bei jeder noch so beschissenen Frittenbude vorbeigehen und die kontrollieren. Als meine Schwester das letzte mal in Italien war, gab es zum Nachtisch Salmonellen. Und das war in einer Unimensa, die eigentlich besonders sauber sein sollte. Zum Vergleich: In der Mensa hier bei uns in Bremen kannst du vom Fußboden essen und es werden nur Bioprodukte verarbeitet.
Der erlanger Professor, der da in deinem Video sitzt und gar nicht weiß, wovon er da redet, spricht allerdings von dem Agrarsystem der EU, was mit der Lebensmittelquali gar nicht zusammenhängt. Er regt sich ja insbesondere darüber auf, dass so viele Subventionen fließen und die Staaten ihre Nahrungsmittelproduktion nicht mehr selbst in der Hand haben. Klar, könnte man einführen. Wenn du genug Leute findest, die Bauern werden wollen, aus eigener Tasche Bauernhöfe betreiben und dort zu Dritteweltland-Gewinnmargen arbeiten. Dann könnte man das tatsächlich so machen, wie der trottelige Professor das will. Oder wir lösen die EU auf und geben das, was wir an Freihandel gewonnen haben auf und schlagen jetzt auch wieder hohe Zölle auf Importe. Nur dann ist das Geschrei hier wieder groß, dass alles von einem Tag auf den anderen 50% teurer wird.
Ich finde das EU-Agrarmarktsystem auch nicht besonders effizient. Aber aus anderen Gründen wie er (und vermutlich auch du) sehe ich die negativen Aspekte als notwendiges Übel, um gewisse Vorteile zu erlangen - würde also keinen Systemwechsel wollen.
Der Typ hat ja schon gesagt, dass rund die Hälfte der EU-Mittel in den Agrarsektor fallen. Obwohl das EU-Budget in Bezug auf die gesamte Wirtschaftsleistung nicht riesig ist, sind das Unsummen, die da zusammenkommen. Was insbesondere so teuer ist, sind die Garantien der EU: Die EU gibt den Bauern die Preise vor, zu denen sie die Produkte verkaufen sollen. Diese Preise sind über den Weltmarktpreisen. Wenn die Bauern nicht alles absetzen, dann kauft die EU die Überschussproduktion zu einem sog. Interventionspreis auf. Das gibt den Bauern Sicherheit und stützt den Preis vor zu starken Schwankungen. EU-Bauern könnten allerdings nichts exportieren, weil die EU-Preise eben deutlich über denen liegen, zu z.B. in Afrika oder Russland exportiert wird. Ist ja auch klar - ein deutscher stellt sich nicht für 30 Cents am Tag 10 Stunden lang aufs Feld, wie das die Leute in Burkina Faso tun. Also muss die EU auch hier eingreifen. Sie bezahlt den Bauern die Differenz zischen EU-Preis und Weltmarktpreis. Anders herum werden EU-Bauern vor billigen Importen aus anderen Ländern geschützt, indem Importe so weit durch Zölle abgeschöpft werden, dass sie auf einem Preisniveau mit EU-Produkten sind.
Das ist ein ziemlich komplexes System, das, wie gesagt, nicht frei von Fehlern ist. Aber wenn man das anders machen würde, indem man die Subventionen weglassen würde (was der Prof da fordert), dann würden die EU-Bauern pleite gehen und die gesamte EU von ausländischen Agrar-Gütern abhängig werden, was der Prof da aber auch nicht will. Er widerspricht sich also selbst, ohne auch nur irgendeinen Lösungsvorschlag zu machen. In meiner Zeit hier an der Uni habe ich gemerkt, dass auch Professoren nicht perfekt sind. Eher im Gegenteil - man sollte sich nicht zu sehr vom Titel beeindrucken lassen.
An dem Agrarsystem kann man ganz gut beschreiben, was ich meine: Die Welt ist komplex und die EU auch. Ich meine, die EU hat 2003 z.B. eine Richtlinie für ein Fangverbot für die Bestände der Gelbschwanzflunder herausgegeben, weil die Bestände überfischt waren. Ist ja irgendwie sinnvoll - schließlich soll diese Fischart ja nicht aussterben und den Fischern so langfristig ihre Grundlage genommen werden. Aber was meint ihr, was das für ein riesiger Aufwand ist, ein System zu bauen, das auch auf so etwas achtet. Da werden Gutachten erstellt, ausgewertet und Entscheidungen getroffen. Und alles von Menschen - und Menschen sind ja nicht gerade für ihre Perfektion bekannt. Man kann nicht so riesige Systeme, wie die EU bauen und dann glauben, dass die Sache ein nachteilsfreies System ist. Es reicht einfach nicht, zu sagen, dass die EU-Politiker alles bürokratische Sesselfurzer seien und es dabei zu belassen.