Les Misérables
Oh je, wo fängt man hier an...
Wenn man das Musical Les Misérables, oder „Les Mis“ für Fans, mit einem Wort beschreiben müsste, dann wäre es vermutlich „Groß“
Es war eines der ersten „Event Musicals“, gemacht für große Bühnen, denn es ist die opulente Adaption eines großen, fast bibelschweren Romanklassikers von Victor Hugo, mit großen Emotionen, großen Konflikten, Songs die zu einer Mehrheit aus großen Balladen bestehen in einer großen Geschichte mit vielen Charakteren die alles beinhaltet ausser auch nur dem kleinsten Anflug von Subtilität.
Ich habe es durch ein
Internetvideo und den beiden auf DVD erschienen Jubiläumskonzerten entdeckt und es wurde recht schnell eines, vielleicht DAS Lieblingsmusical von mir, trotz einiger unübersehbarer Schwächen.
Auch dieses Filmprojekt ist entsprechend ambitioniert. Es gibt zwar genug Adaptionen des Buches in jeder erdenklichen Länge und Machart, aber an das Musical hat sich bisher noch keiner herangetraut.
Wirklich einzigartig ist aber hier die Art der Inszenierung: Für gewöhnlich werden Filmmusicals gemacht, indem die Darsteller den Soundtrack in einem Studio aufnehmen, der nett zurechtgemischt wird und dann am Ende die Szenen zu Playback gespielt werden. Bei „Les Mis“ jedoch ist der Gesang „Live“, aufgenommen während die Szenen selbst gedreht werden, was den Darstellern erlaubt auch während ihrer Songs zu „schauspielern“, in Gestik, Mimik und Sprache, aber dies natürlich auf die Kosten des reinen Songs geht. Sich von dem Film eine CD zu kaufen ist möglich, aber ziemlich sinnlos.
Aber gut, eins nach dem anderen:
Die Handlung von „Les Mis“ in Kürze zu beschreiben ist praktisch unmöglich, nur soviel: Es beginnt und endet mit Jean Valjean, der für ein bestenfalls nebensächliches Verbrechen fast 20 Jahre ein Gefangener der Justiz ist und der nach seiner Freilassung seinen Hass auf die Gesellschaft verwirft, nachdem er einen Akt unglaublicher Güte erlebte und schwört fortan, kurzgesagt der allerbeste Mensch in ganz Frankreich zu werden aber dafür gegen seine Bewährungsauflagen verstößt, die ihn als eine Art Aussätzigen brandmarken.
Aus diesem Prolog folgt eine epische Geschichte über das über Liebe, Moral, Gesetz, Gesellschaft und das Leiden der Armen im Frankreich des 19.Jahrhunderts, die sich über mehrere Jahrzehnte streckt und in einem brutal niedergeschlagenem Studentenaufstand im Jahr 1832, an die sich vielleicht heute keiner mehr erinnern würde wenn Victor Hugo kein Buch drüber geschrieben hätte.
Zunächst mal, so oder so verdient der Film ein Lob für das oben genannte Vorhaben, den Gesang der Darsteller in den Szenen live aufzunehmen. Bei einem Musical das so sehr durch „hübsche Lieder“ definiert ist wie Les Mis ist das trotz allem schon durchaus gewagt, und da schon alleine die Songs selber notorisch anspruchsvoll zu singen sind, verdienen die Darsteller alleine schon Respekt dafür das ganze auch noch zu machen während sie gleichzeitig schauspielern.
Das Ergebnis der Mühen ist jedoch...gemischt. Manchmal ist das Ergebnis atemberaubend: Zum Beispiel wenn Anne Hathaway als die vom Schicksal ruinierte Fantine die Highlight-Ballade „I dreamed a dream“ in einem totalen Nevenzusammenbruch singt oder das große Ensemble Stück „Do you hear the people sing“ als Startschuss für einen opulenten Bürgeraufstand verwendet wird.
In vielen anderen Fällen jedoch wird dieser gewagte Kniff verschwendet, in dem die Darsteller nicht mit ihrer Umgebung interagieren und auch der Kamera nichts besseres einfällt, als einfach nur die Gesichter der Sänger in Nahaufnahme zu zeigen. Dies dann auch noch mit dem rohen, ungeschönten und durch die Charakterdarstellung unebenen Gesang zu hören hilft dann niemanden, weil es einfach nichts besonderes beizutragen hat. Und wünscht man sich spätestens bei dem noch am tradionellsten choreografierten und inszenierten komödiantischen Song „Master of the House“ (in der Sacha Baron Cohen mal wieder beweist, das er viel mehr Talent besitzt als er verdient, während Helena Bonham Carter beweist, das sie inzwischen in jedem Film eine Tim Burton Figur ist) mehr als einmal doch lieber eine „konventionellere“ Musicalverfilmung.
Auch sonst lässt die visuelle Regie leider zu wünschen übrig. Regisseur Tom Hooper, der sich meiner Meinung nach schon in „Kings Speech“ weniger durch seine Leistung als die seiner Schauspieler unverdienterweise einen Regieoscar erschlichen hat, setzt hier auf bodenständige, langweilige Sets und Bilder, die vielleicht zur harten Realität der leidenden Armutsschicht passt, aber durch einen Mangel an Kunstfertigkeit den Film optisch unter Wert verkauft.
Aber wenigstens können die Darsteller was: Neben den oben genannten Darstellern geben auch Hugh Jackman, Amanda Seyfried, Samantha Banks (die bereits auf der Bühne und dem 25 Jahre-Jubiläumskonzert als tragisch verschmähte Räubertochter Eponine überzeugen konnte), Colm Wilikinson (der für viele „beste Valjean aller Zeiten“, dessen Gastrolle hier nicht verschwendet wird), Eddie Redmayne (dessen Rolle als Marius, die gleichzeitig für einen jungen Kerl geschrieben ist aber trotzdem super schwere Songs zu singen hat für gewöhnlich ein Albtraum zu casten ist) und auch die Nebendarsteller geben hier alles und beweisen ihr Können. Das einzige schwarze Schaf hier ist Russel Crowe als superautoritärer und gnadenloser Inspektor Javert, der mit seinem schwachen Stimmchen und dem offensichtlichen Leistungsunterschied zu seinem Rivalen Jackman/Javert offensichtlich völlig falsch gecastet ist, und dessen Mühe nicht verbirgt, das er einige eigentlich fantastische Songs mit seinem unterqualifizierten Talent hinrichtet.
Was jetzt auch noch hinzukommt ist, das das Musical an sich eine Sache für sich ist. Zum einen verleiht die epische Größe, der tolle Protagonist und die zeitlose Thematik der Vorlage dem Stück einen besonderen Touch, der ihn von seinen Genrekollegen abhebt. Andererseits jedoch wird hier offensichtlich ein schon von der Seitenzahl her gigantisches Buch auf eine 2,5 Stunden Handlung runtergepresst, die große bis gewaltige Zeitsprünge macht, viele Charaktere darstellt ohne tiefer auf sie einzugehen und trotz allem weiter einen hohen Level an Kitsch aufweist. Die in der zweiten Hälfte aufkeimende Dreiecksromanze ist auf einem fast schon Disney-artigem Niveau, dessen naive Charakterzeichnung samt forciertem Happy End in einem fast schon zynischen Konflikt mit der sonst so düsteren und schweren Geschichte drumherum ist.
Und viele hassen einfach den opernähnlichen Aufbau des ganzen, in dem 80-90% der Zeit gesungen wird und fast jeder Dialog einer Art Sprechgesang unterliegt, auch ausserhalb der eigentlichen Lieder.
Das macht es zusätzlich schwierig Les Misérables zu bewerten...was mir auch unabhängig davon schwer fällt.
Für „Neulinge“ besteht die Gefahr das sie grundsätzlich nichts mit dem Musical an sich anfangen können, für Fans und Kenner bringt die Verfilmung ein eigenes Set von Freude und Frustration mit sich.
Nichtsdestoweniger, am Ende mochte ich den Film, auch wenn ich manchmal das Gefühl hatte das ich den Film „trotz“ seiner Inszenierung mochte und nicht „wegen“ dieser.
Jedoch bin ich froh den Film gesehen zu haben, habe ihn über weite Strecken genossen und war von den Stellen beeindruckt, in dem er „funktioniert“, wenngleich es mir schwerfallen wird, diesen Film meinen Konzert-DVDs vorzuziehen.
EDIT: Übrigens gibt es im Moment ein Lied aus dem Filmmusical gratis bei Amazon zum Download (DRM frei):
http://www.amazon.de/gp/product/B00...rd_t=201&pf_rd_p=378214847&pf_rd_i=B00B67QACI
EDIT 2: Kleine Änderung weil ich im Fazit dann doch etwas ZU negativ war...glaube ich...gah, der Film macht mich wahnsinnig...